Kathrin Scholz hat im Juni 2023 für Cognizant an der „New Work Future“ Konferenz teilgenommen. Im Interview teilt sie ihre Sicht zum Thema New Work.
Bei New Work denkt jeder an andere Schlagworte: Home Office, Work-Life-Balance, Mobile Working. Was bedeutet New Work für dich?
Auch für mich gibt es keine eindeutige Definition von New Work. Arbeitskontexte haben sich schon immer verändert, sodass immer irgendetwas „neu“ war und sein wird. In der aktuellen Zeit stehen für mich persönlich vor allem die Aspekte Freiheit, Flexibilität und Autonomie zentral. Letztendlich geht es darum, den Menschen nicht (mehr) als eine von vielen Ressourcen zu sehen, sondern als Individuum mit eigenen Stärken und Bedürfnissen. Wo vorher der Job als Mittel zum Lebensunterhalt den Takt vorgegeben hat, steht heute außerdem das Leben mehr im Vordergrund. Es dürfen auch mal persönliche / private Themen Vorrang haben. Bestenfalls findet man natürlich einen Job, der so mit dem eigenen „Purpose“ im Einklang ist, dass sich Work und Life gegenseitig nicht oder nur minimal einschränken, oder sich sogar gegenseitig bereichern.
Gibt es ein Thema, welches weniger bedacht wird?
Mehr Freiheit bringt natürlich auch Herausforderungen und ggf. sogar Konfliktpotenzial mit sich. Allzu schnell werden „richtige“ Arbeitsweisen als selbstverständlich vorausgesetzt. Aber seien wir mal ehrlich: Von wann bis wann muss ich erreichbar sein? Ist es OK, wenn ich mittags zum Sport gehe? Wem gebe ich wie Bescheid, wenn ich mal kurz nicht da bin? Muss ich das überhaupt? Über welchen der vielen Kanäle kontaktiere ich wen zu welcher Zeit am besten? Haben Mails oder Chat Nachrichten Priorität? Sollte ich an bestimmten Tagen ins Office gehen? Diese oder ähnliche scheinbar banale Fragen sollten regelmäßig in gezielt dafür organisierten (Team-) Meetings besprochen und (re-)evaluiert werden.
Wichtig ist, dass es nicht darum geht, zwingende Regeln aufzustellen. Stattdessen geht es um das gemeinsame Vereinbaren von Richtlinien, bestenfalls in Form einer schriftlichen „(N)etiquette“. Diese Richtlinien – basierend auf gelebter Offenheit über eigene Bedürfnisse, Unsicherheiten oder Fehler – tragen durch ein Gefühl von Vertrauen und psychologischer Sicherheit dazu bei, dass bestehende und neue Teammitglieder auch in der neuen Arbeitswelt erfolgreich und mit Spaß zusammenarbeiten.
Sind solche (N)etiquetten mit New Work wichtiger als zuvor?
Wenn man New Work klar an die post-Covid-Zeit koppelt: Klare Absprachen zur Zusammenarbeit waren natürlich auch vorher schon relevant. Vorher gab es allerdings mehr zentrale, top-down Vorschriften oder Normen (z.B. Anwesenheitspflicht im Office, Kernarbeitszeiten, feste Zeiten für gemeinsames Mittagessen, weniger Kommunikationskanäle bzw. mehr direkte face-to-face Kommunikation im Büro), die weniger Spielraum für individuelle Gestaltung von Arbeitszeit, -ort und -art zugelassen haben. Diese Arbeitsweisen waren über Jahre hinweg so etabliert. Die Covid-Zeit gibt uns nun die Chance, alte Gewohnheiten, wo sinnvoll, durch neue zu ersetzen. Viele strikte Vorgaben „von oben“ sind gelockert oder nicht mehr vorhanden und jetzt müssen – oder besser gesagt dürfen – viele Teams freier entscheiden, wie sie sich organisieren.
Dazu kommt, dass die Fachkompetenz einzelner Teammitglieder immer mehr an Relevanz verliert, da Wissen heutzutage frei verfügbar ist (Internet, Chat GPT etc.). Für den Wettbewerbsvorteil sind hochqualitative, innovative Resultate durch erfolgreiche Zusammenarbeit im Team relevanter und meist Mehrwert-bringender als die summierte Leistung individueller High Performer. Erfolgreiche Teams sind heutzutage wichtiger als je zuvor. Und gemeinsam erarbeite, transparente (N)etiquetten sind dafür – neben anderen Faktoren – eine wichtige Voraussetzung.
Gibt es auch Punkte, die du aktuell kritisch siehst?
Ein Punkt ist der aktuelle Trend hin zu 100% remote work. Ich bin der Meinung, dass Kolleg:innen sich – als soziale Wesen - regelmäßig (sei es im Office oder bei anderweitigen Events) face-to-face treffen sollten. Ohne eine face-to-face Kultur ist der Arbeitgeber nur noch ein Name und es findet wenig bis keine Identifikation mit oder Bindung zum Unternehmen statt, was wiederum die Hemmschwellen zur Kündigung senkt.
Die Ironie dabei ist, dass viele Unternehmen (abgesehen von Kostenersparnissen) 100% remote work einführen, um den scheinbaren Bedürfnissen der „jungen Generation“ im „war for talent“ gerecht zu werden. Das ist kurzfristig sicherlich attraktiv. Wenn es um langfristige Bindung bzw. Fluktuation geht, schneidet man sich damit aber eher ins eigene Fleisch.
Versteht mich nicht falsch – ich liebe mein Home Office, „work from anywhere“ und möchte meine Freiheiten nicht mehr hergeben. Ich möchte aber auch nicht ins Office gezwungen werden. Stattdessen sind attraktive Offices oder Events, zu denen ich gehen möchte, weil ich “Bock‘ drauf habe”, dort meine tollen Kolleg:innen zu treffen – zumindest für mich – unverzichtbar! Und das trifft i.d.R. auch gerade auf New Joiner / Berufseinsteiger zu – die heiß begehrten „young talents“.
Wie muss ein Büro in Zeiten von New Work aussehen?
Aktuell lässt sich ein spannender Zirkelschluss beobachten: Unternehmen argumentieren, dass man keine Büros mehr braucht, da die Mitarbeitenden nicht mehr hingehen. Dabei wird sich (und v.a. den Mitarbeitenden!) allerdings gar nicht erst die Frage gestellt, warum sie nicht hingehen.
Durch den Shift hin zu remote work (Fokuszeit im Home Office, mehr virtuelle Meetings etc.) braucht es im Büro mehr als ergonomische Ausstattung für individuelles Arbeiten. Ich gehe nicht ins Büro, um alleine an Aufgaben zu arbeiten, sondern für Networking, Events, kreatives Brainstorming, Workshops und Zusammenarbeit im Team. Wenn die Gegebenheiten im Büro nicht attraktiv sind (z.B. bessere technische Ausstattung zuhause oder Großraumbüro ohne Rückzugsort, zu wenig Räume oder state-of-the-art Equipment für kreativen Austausch), geht niemand ins Büro. Und warum sollte ich in ein Büro gehen, in dem niemand ist? – ein Teufelskreis.
Das Büro (Lage, Design, Events etc.) muss ein attraktiver, sozialer Ort werden, der mir einen echten Mehrwert zum Home Office bietet. Bevor also alle Büros vorschnell geschlossen werden, sollten Unternehmen den Mitarbeitenden daher immer erst die Frage stellen, was sie brauchen, um dort (wieder) gerne hinzugehen.
Welche Punkte bezüglich New Work siehst du bei Cognizant schon gut umgesetzt?
Die gebotene Flexibilität und die damit einhergehende Work-Life-Balance sind Punkte, die ich bei Cognizant sehr schätze. Dass Überstunden auf- und abgebaut werden können, ist gerade im Bereich Consulting (leider) kein Standard. Auch haben wir keine Pflicht im Sinne von festgelegter Anzahl an Präsenztagen im Büro. Insgesamt bekommen wir bei Cognizant damit ein großes Maß von Vertrauen und Freiheit geschenkt.
Und wo können wir uns verbessern? Welches sind die grundlegenden Faktoren, um New Work effizient zu integrieren?
Das kann ich als eine von über 300.000 Mitarbeitenden für ein ganzes Unternehmen pauschal nicht beantworten. Wichtig wäre zunächst, dem Buzzword „New Work“ im Kontext der bestehenden (oder gewünschten) Unternehmenskultur konkrete Gestalt zu geben. Welche Normen, Werte und Verhaltensweisen streben wir an, was muss sich verändern, um dieses Zielbild zu erreichen, und welche Maßnahmen lassen sich davon ableiten? Benötigen wir anderes (technisches) Equipment, neue Führungsprinzipien oder -fähigkeiten, eine andere Recruiting Strategie, mehr oder weniger Regeln, andere Strukturen oder Prozesse?
Die Liste möglicher Themen oder Verbesserungspunkte ist vermutlich so lang wie die Anzahl der Mitarbeitenden oder zumindest Sub-Kulturen, die alle ihre eigenen Vorstellungen und Bedürfnisse haben. Um einen Konsens zu finden, sollten genau diese Mitarbeitenden, die ja den Kern eines jeden „Unternehmens“ ausmachen, miteinbezogen werden. Und dann sollte man es nicht beim Sammeln von Feedback belassen. Setze Prioritäten, definiere Verantwortlichkeiten und dann just do it!